Da ich bin!

Ob im Kleinen oder Großen: Viele Designer wussten eine ästhetische Revolution loszutreten ‒ sei es Ann Demeulemeesters „Ästhetik des Unfertigen‟ oder die Entledigung des Korsetts durch Coco Chanel. Die simpelste Grundregel der Mode umgingen nur die wenigsten: die klare Unterscheidung in Männermode und Womenswear. Rad Hourani ist einer der Wenigen.

insta_MG_2353

Rad Hourani

Hier setzt die Vision Rad Houranis an. Jedes der ausschließlich schwarzen Produkte des Designers ist als Unisex-Artikel entworfen. Mehr noch: Rad Hourani lehnt modische Grenzen ab. Nichts an seinen Kleidern soll zeitliche, gesellschaftliche oder kulturelle Einflüsse aufzeigen. Dabei würde es ihm kaum an entsprechender Inspiration fehlen: Sein Vater ist Jordanier, die Mutter Syrierin. Als Rad Hourani 16 war, zog die Familie nach Kanada, 2005 ging er nach Paris. Ständig Reisen, umgibt er sich auch heute mit Künstlern, Literaten und Musikern aus unterschiedlichen Kulturkreisen und ist selbst auf diesen Gebieten aktiv. Sein facettenreiches Leben nicht als Inspiration für seine Mode zu nehmen, ist ein radikales Konzept. 2007 gründete Rad Hourani seine Marke und gehört bereits jetzt zu den großen Namen der Branche. Groß genug, um das elitäre Chambre Syndicale de la Haute Couture auf sich aufmerksam zu machen. Ausschließlich der Pariser Modeverband darf Designer dazu einladen, eine offizielle Haute Couture-Linie zu entwerfen und wacht über die Kriterien, die zu einer Teilnahme berechtigen. So müssen ein Maß-Atelier mit mindestens 15 Angestellten in Vollzeit betrieben und je Saison mindestens 35 Unikate in reiner Handarbeit erstellt werden. Der Hauptsitz der Linie hat selbstredend in Paris zu sein. Keine zwanzig Häuser sind es weltweit, die dem Chambre Syndicale gut genug sind. Seit letztem Jahr ist Rad Hourani der erste und einzige unter ihnen, der Unisex-Mode entwirft. Über die Stofflichkeit hinaus weiß Rad Hourani, sich selbst auszudrücken, sei es in der Fotografie, Literatur oder Kunst. Aktuell gastiert seine Ausstellung „Rad Hourani: 5 years of unisex‟ im Berliner Oukan-Store, eine Sammlung schwarz-weißer Fotografien und seiner aktuellen Haute Couture-Linie.

RAD#08 B&W 16 HI RES

Rad Hourani Frühjahr 2014

Vergangenes Jahr wurden Sie vom Chambre Syndicale de la Haute Couture als erster Designer der Modegeschichte eingeladen, eine Unisex Haute Couture-Linie zu präsentieren. War es immer Ihr Ziel, in den Kreis der Haute Couture-Designer aufgenommen zu werden?

Das war kein wirkliches Ziel, eher eine sehr schöne Überraschung. Es ist nicht so, dass ich nie daran geglaubt hätte, fähig zu sein, Haute Couture zu machen, ich habe einfach nie daran gedacht, dass sich meine Karriere so entwickeln würde. Es war tatsächlich einer der schönsten Momente in meinem Leben.

Also erinnern Sie sich noch gut an den Tag, als Sie von dieser Nachricht hörten?

Natürlich! Ich war auf einem Event in New York. Mein Pariser Agent rief mich an und hat mir erzählt, dass sich das Chambre Syndicale mit mir treffen und über die Möglichkeit einer Haute Couture-Linie sprechen will. An dem Termin haben sie mir von dem Prozedere erzählt, das dazu berechtigt, Teil der Haute Couture zu werden. Kein einfacher Prozess! Du musst eine saison-unabhängige Show organisieren, um zu zeigen, dass Du fähig bist, eine weitere Linie zu lancieren. Außerdem brauchst du einen Paten, der Teil des Chambre Syndicale ist. Bei mir war das Sidney Toledano, der CEO von Christian Dior.

Sie sagen, dass die Haute Couture nicht eines Ihrer erklärten Ziele war. Was waren diese?

Ich wollte immer meine eigene Sprache und Vision kommunizieren ‒ durch Design, Kunst und Fotografie, Musik, Literatur. Die Mode war dabei nur ein Teil meines Ausdrucks. Dass mein Label heute so bekannt ist und auch das Chambre Syndicale auf mich aufmerksam wurde, liegt wahrscheinlich daran, dass ich stets eine sehr präzise Vision hatte und meine Kollektionen sehr konkret und qualitativ ausgearbeitet sind.

RAD#08 B&W 02 HI RES

Rad Hourani Frühjahr 2014

Was ist Ihnen momentan wichtiger? Die Haute Couture oder Ihre Prêt-à-porter-Linie „Rad by Rad Hourani‟?

Mir ist beides gleich wichtig. In meiner Haute Couture geht es mehr um schnitttechnische Komplexität und die sehr durchdachte Konstruktion. Einige Komponenten muss man für die Prêt-à-porter runterbrechen und sich einer gewissen Kompliziertheit entledigen. Prêt-à-porter muss auf vielerlei Weise zugänglich sein, in Hinsicht auf Preis oder Kombinierbarkeit. Beide Linien sind mir wichtig und keine könnte ohne die andere funktionieren, sie vollenden sich gegenseitig. Ich habe erst kürzlich meine neue Prêt-à-porter-Kollektion in meiner Pariser Galerie in der Rue Charlot in Form einer Ausstellung präsentiert. So konnte ich eine weitere meiner Ausdrucksformen einbeziehen, die Fotografie. Zudem waren die Kleider ausgestellt, also konnte das Publikum die Kollektion nicht nur visuell wahrnehmen, sondern sie auch anfassen und erfühlen.

RAD#08 B&W 05 HI RES

Rad Hourani Frühjahr 2014

Wollen Sie Ihre Kleider eher als Kunst oder als Mode verstanden wissen?

Als das, was es ist. Kunst ist mir ebenso wichtig wie Design oder Fotografie. Nach Berlin zeigen wir die Ausstellung in Dubai, in New York, Paris und Beijing. Mit dieser Ausstellung zu reisen, ist für mich genau die Richtung, in die ich meine Vision entwickeln will.

Wieso haben Sie sich entschlossen ausschließlich Unisex-Linien zu entwerfen? Geht es dabei nur darum, dass ihre Mode an beiden Geschlechtern funktioniert oder steckt dahinter ein größerer, politischer Gedanke um die allgemeine Unwichtigkeit geschlechtlicher Unterscheidung?

Es geht dabei um noch viel mehr. Die Weise, in der wir uns kleiden, ist eine sehr präzise Art sich auszudrücken, seine eigene Persönlichkeit nach außen zu kehren. Auch für mich als Designer ging es immer darum, mich selbst zu verstehen, wie ich funktioniere, um Kleider zu machen, die diese Sicht reflektieren. Für meine erste Kollektion habe ich mich regelrecht selbst analysiert und psychologisch beleuchtet. Ich bin dann an einem Punkt gelangt, an dem ich alle Begrenzungen, die unsere Gesellschaft bestimmen, löschen und neu interpretieren wollte. All die verschiedenen Orte, an denen ich war und die unterschiedlichen Kulturen und Religionen, die ich erlebt habe, das alles habe ich bewusst abgestreift und nach etwas gesucht, das die Unabhängigkeit von Einschränkungen umschreibt. Das Wort „Unisex‟ war das erste, das mir eingefallen ist, denn das ist nicht nur in der Mode die erste Grenzlinie. Das Geschlecht ist das erste, in das man die Menschen unterscheidet und kategorisiert. Ich habe mich gefragt, wer eigentlich bestimmt, dass sich Männer und Frauen unterschiedlich kleiden. Diesen Gedanken habe ich weitergesponnen: Wer hat entschieden, dass man sich einem gewissen Alter entsprechend anziehen oder seine kulturelle Zugehörigkeit in Kleidung ausdrücken muss? Ich wollte etwas kreieren, das alterslos, zeitlos und intersexuell ist. Etwas, das keine Referenzen in eine vergangene Epoche zieht, unabhängig von Kulturen oder Nationen funktioniert. Meine Mode ist rein grafisch.

Generell ist „Unisex‟ oder die Verwischung geschlechtsspezifischer Mode in den vergangenen Saisons ein großes Thema gewesen, auch für sehr traditionelle Häuser. Empfinden Sie diese Tendenz als vorteilhaft für Ihr eigenes Label oder möchten Sie sich von diesem allgemeinen Trend eher distanzieren?

Ich bin generell nicht an Trends interessiert. Wenn andere Marken mehr und mehr Unisex-Mode präsentieren, ist das für mich in Ordnung, schließlich glaube ich daran. Ob mein Geschäft davon profitiert weiß ich allerdings nicht. Ich verstehe nicht, warum wir uns gewissen modischen Vorschriften unterwerfen.

RAD#08 B&W 01 HI RES

Rad Hourani Frühjahr 2014

Das komplette Interview finden Sie in der aktuellen Quality No. 30 „THINK PINK“, jetzt im Handel!

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.