21 Mai Digitale Rüsche
Zwischen Poesie und Hightech: Die niederländische Modedesignerin Iris van Herpen lässt Konventionen hinter sich. Ihre Kollektionen werden nicht nur mit Nadel und Faden genäht, sondern auch per Computer ausgedruckt. Das Designmuseum im israelischen Cholon widmet der interdisziplinären Grenzgängerin, deren Kreationen
von Björk und Lady Gaga getragen werden, zurzeit eine große Retrospektive.
links: Mit der Kollektion „Crystallization“ (2010) überträgt Iris van Herpen den Prozess des „Rapid Prototyping“ in die Mode. rechts: Aus Polyamid gedrucktes Kleid der Haute-Couture-Kollektion „Capriole“ (2011),
Auch wenn die Mode niemals stillsteht, erfolgt ihre Herstellung doch einem altvertrauten Muster. Noch immer werden Stoffe auf zweidimensionaler Ebene mit Nadel und Faden vernäht – genau wie seit tausenden von Jahren. Eine Designerin, die derzeit reichlich Wind in diese Praxis bringt, ist die junge Niederländerin Iris van Herpen. Nach einem Praktikum bei Alexander McQueen gründete sie 2007 ihr eigenes Label in Amsterdam und ringt seither nicht nur traditionellen Handwerkstechniken eine zeitgemäße Sprache ab.
Als erste Modegestalterin bringt die 30-Jährige eine Technologie zum Einsatz, die bislang vor allem im Produktdesign und in der Medizintechnik verwendet
wird: „Rapid Prototyping“.Das dreidimensionale Druckverfahren ist ursprünglich für das Erstellen von präzisen räumlichen Modellen, Prototypen und Mustern entwickelt worden – und klingt bei genauerer Betrachtung wie eine Spur Magie.
Während sich die meisten Modedesigner im Fundus der Vergangenheit bedienen, nimmt sie geradewegs die Zukunft ins Visier. Handwerkliche Perfektion wird so um technische Innovation ergänzt,ohne in den Bereich der Sportkleidung abzudriften – wo neue Stoffe bislang als Erstes ausprobiert werden. Der Einsatz des
3D-Druckens geht dabei über rein funktionale Belange weit hinaus.„Form follows function ist kein Slogan, dem ich zustimme. Im Gegenteil: Ich bin der Meinung, dass Form den körperlichen Ausdruck ergänzen und zu verändern vermag“, macht van Herpen deutlich.
Im Januar 2011 debütiert sie während der Haute-Couture-Schauen in Paris – nachdem sie ihre Defilées zuvor in Amsterdam und London gezeigt hat. Die Kollektion „Escapism“ (Herbst-Winter 2011) hebt den Einsatz von „Rapid Prototyping“ auf eine neue Ebene.
Das Digitale bestimmt nicht nur die Gestaltung von Accessoires und Applikationen, sondern wird in die Kleidung integriert. Irisvan Herpen kooperiert hierbei mit dem Architekten Daniel Widgrig und dem auf 3D-Druck spezialisierten Unternehmen MGX,ohne dessen „Magis“-Software die Umsetzung unmöglich gewesen wäre.
Das Programm kann bereits beim digitalen Konstruieren kleine Fehler erkennen und reparieren. Der zeitlich aufwendige Fertigungsprozess wird damit enorm beschleunigt, sodass auch kurzfristige Änderungen nach den Anproben vor der Modenschau berücksichtigt werden können – was vorher nicht möglich war. Die Komplexität der Arbeiten, bei der spitzenartige Muster ohne Handarbeit erzeugt werden, beeindruckt schließlich selbst die alterwürdigen Chambre Syndicale de la Haute Coutureder Iris van Herpen 2011 als Mitglied aufnimmt. Wie das Zusammenspiel von Körper und Hightech in raumgreifenden Dimensionen erfahren wird, zeigt die Präsentation der Kollektion „Biopiracy“ (Herbst-Winter 2014). In der Mitte des Laufstegs hängen großformatige, transparente Kunststofffolien von der Decke herab, in die drei Models vakuumverpackt wurden wie Frischwaren aus dem Supermarkt. „Die Modelle schweben in der Luft wie Embryos und wirken schwerelos in ihrer meditativen
Haltung“, erklärt Iris van Herpen, die für diese Inszenierung mit dem belgischen Künstler Lawrence Malstaf kooperierte. Mithilfe transparenter Schläuche wurde zuvor die Luft aus den Kunststofffolien herausgezogen, sodass sie sich eng über die Haut der Models legte. Im Anschluss gelangte Sauerstoffe durch die Schläuche,
sodass die Models nicht zu ersticken drohen
Am Computer konstruierte Formen können ohne manuelle Umwege in fertige Werkstücke umgesetzt
werden. Dazu wird eine Maschine mit einem sandähnlichen Polymer aufgefüllt. Ein Laserstrahl folgt den Konturen des Objekts
und verschmilzt den Kunststoffstaub zu fester Materie. Ebene für Ebene entsteht auf diese Weise eine komplexe Form aus einem Guss. Der Clou dabei liegt in der Überwindung von Innen und Außen. So kann ein Körper erzeugt werden, der sich in einem anderen Körper befindet – und zwar ohne jegliche Nähte oder andere Verbindungsstellen.
In die Mode wird das Verfahren von Iris van Herpen im Juli 2010 gebracht, die dafür eine Kooperation mit dem niederländischen Architekturbüro Benthem Crouwel eingeht.
Die Architekten haben das Amsterdamer Stedelijk Museum um einen Anbau erweitert, der den Spitznamen „Badewanne“ trägt und zum Veranstaltungsort der Modenschau erkoren wird. Passend zum Wasserthema entwickelt van Herpen die Kollektion „Crystallization“,bei der fließende Stoffe auf kristalline Formen aus dem 3D Drucker treffen. Anders als im Produktdesign verbleiben die Kunststoff-Elemente nicht als starre Körper, sondern werden durch das Tragen auf der Haut in Bewegung versetzt. „Für mich ist Mode ein künstlerischer Ausdruck, der sehr eng mit mir und meinem Körper verbunden ist“, erklärt Iris van Herpen, die als Kind ursprünglich Tänzerin werden wollte.
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