ANDREA POMPILIO: AUSSER RAND UND BAND

Interview von Normen Kietzmann

Andrea Pompilio bringt Schmiss in die italienische Männermode. Er mischt expressive Drucke, Muster und Farben, ohne dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren. Der Mann ist ein Arbeitstier: Neben Entwürfen für sein eigenes Label verjüngt er als Chefdesigner die Linie des klassischen Mailänder Männerlabels Canali, darüber hinaus haucht er der japanischen Sportmarke Onitsuka Tiger mit einer eigenen Kollektion neue Eleganz ein. Widersprüche sind für den 42-jährigen eine Herausforderung: hier läuft er zu Hochform auf. Ein Gespräch über kreatives Chaos, narzisstische Großväter und Mokassins mit Tennissocken.

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Andrea Pompilio, Sie gehören zu den „Neuen Wilden“ der Mailänder Modeszene. Vier Jahre nach der Gründung Ihres eigenen Labels haben Sie im April 2014 einen begehrten Posten übernommen: Die kreative Leitung des Mailänder Herrenschneiders Canali. Wie schwer war es am Anfang, überhaupt einen Fuß in die Tür zu bekommen?

Als ich mein Label gegründet habe, war Mailand tot. Es gab die großen, berühmten Namen, die es auch heute noch gibt. Doch Massimo Giorgetti und ich waren die ersten neuen Designer nach fast zwanzig Jahren. Darum war es erst einmal nicht so schwer, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu geraten. Alle suchen ja nach etwas Neuem. Viel schwieriger war es, sich zu halten. Schließlich reicht es nicht aus, alle sechs Monate eine neue Kollektion zu entwerfen. Man muss den Leuten ständig neuen Input liefern.

Mit welcher Idee sind Sie an Ihr Label herangegangen?

Ich habe versucht, meine eigene Garderobe zu bauen. Am Anfang waren rund zwanzig Teile, alle mit vielen interessanten Details. Man konnte es nicht wirklich eine Kollektion nennen. Doch es war die perfekte Garderobe für mich, die ich mit anderen teilen wollte. Danach sind wir gewachsen und gewachsen. Jetzt sind wir zu viel gewachsen (lacht). Aufgrund meiner anderen Designposten verbringe vielleicht noch eine Stunde am Tag in meinem eigenen Studio. Darum ist es an der Zeit, die Kollektion ein wenig kleiner und fokussierter zu machen. Wenn man in einen Showroom geht, möchte man sich auf eine Marke konzentrieren. Je größer eine Kollektion ist, umso verwirrender ist es.

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„Am Liebsten verwende ich Farben, die auf den ersten Blick nicht zusammen passen. Doch genau an dieser Stelle wird es spannend. Es gibt keine Regeln mehr“, erklärt Andrea Pompilio. Modell aus der Herbst-Winter-Kollektion 2013

Gerade in den letzten Wochen ist viel über das Arbeitspensum von Designern und die überbordende Flut an Kollektionen gesprochen worden – ausgelöst durch den Abgang von Raf Simons bei Dior. In welche Richtung sollte die Entwicklung Ihrer Meinung nach gehen?

Die Anzahl der Teile zu schrumpfen, ist sicherlich der richtige Weg für viele Marken. Die meisten Boutiquen haben Schwierigkeiten, die vielen unterschiedlichen Modelle eines Labels zu verkaufen. Warum sollten wir weiterhin so große Kollektionen machen? Als ich anfing, habe ich zwei Paar Schuhe und zwei T-Shirts pro Saison gezeigt, anstatt zehn oder mehr. Dieser Zugang ist viel interessanter, weil er sich stärker auf das Neue fokussiert und weniger auf das, was ohnehin niemand braucht. Ich denke, dass wir uns ein wenig selbst verloren haben. Wir sollten darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist. Mit zu vielen Produkten zerstören wir unseren Markt und unsere Generation.

Wie genau meinen Sie das?

Meine Schwester ist 17 Jahre alt und sie wechselt alle drei Monate ihre Garderobe. Das ist nicht mehr normal. Doch daran ist die Branche schuld. Wir haben diese Generation dahin gebracht, zu sagen: Ich trage etwas und schmeiße es danach in den Müll. Als ich jung war, habe ich im Fernsehen die Kollektionen von Dolce & Gabbana, Gianni Versace oder Gianfranco Ferré gesehen. Sie haben zwei Kollektionen im Jahr gezeigt und jeder hat darauf gewartet, bis die neuen Kleider in den Geschäften waren. Es gab eine regelrechte Vorfreude. Heute haben wir alles schon online gesehen. Das ist einerseits gut, doch wenn die Kleider in die Boutiquen ankommen, wirken sie alt. Aus diesem Grunde interessieren sie uns nicht mehr.

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Einige Marken wie Burberry machen Ihre Kollektionen direkt nach der Modenschau online verfügbar…

Was aber selbst die Großen nur mit Mühe schaffen. Aber es stimmt, dass das den Markt verändert hat. Niemand will mehr sechs Monate auf die Neuheiten der letzten Schau warten. Die Leute kommen und sagen: „Ich möchte das jetzt! Und zwar in einer Woche!“ Das ist tragisch. Denn zuerst müssen wir produzieren und dann verkaufen.

Was hat Sie zur Mode geführt?

Alle in meiner Familie sind auf dieselbe Kunsthochschule in Pesaro gegangen – einer Stadt an der Adria, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Mein Vater war Architekt, meine Mutter arbeite im Krankenhaus. Doch in ihrer Freizeit drehte sich alles um die Malerei. Meine Großmutter besaß in Pesaro zwei Modegeschäfte, in denen ich praktisch aufgewachsen bin, weil meine Mutter am Nachmittag gearbeitet hat. Als ich acht Jahre alt war, fragte mich meine Großmutter, was ich später werden wollte: In dem Moment beschloss ich, Modedesigner zu werden (lacht).

An ihrem Berufswunsch sollen auch Ihre beiden Großväter nicht ganz unschuldig gewesen sein.

Sie haben mich stilistisch beide stark beeinflusst – jedoch auf sehr unterschiedliche Weise. Der eine war Offizier und trug diese strengen Uniformen mit großen Goldknöpfen. Der andere war sehr narzisstisch. Er wollte der schönste Mann der Stadt zu sein und das war er auch: Die Art und Weise wie er sich anzog, welches Auto er fuhr, alles. Ich glaube, dass ich diese Stilmerkmale meiner Großväter mit meinen eigenen Entwürfen vereine. Ich habe immer dieses Feeling für militärische Details. Von Knöpfen bin ich geradezu besessen, egal ob sie innen liegen oder von außen sichtbar sind. Ich glaube, dass meine Großväter bis heute eine große Inspiration für mich sind, obwohl sie schon vor langer Zeit gestorben sind.

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„Ich glaube, dass meine Großväter bis heute eine große Inspiration für mich sind“, sagt Andrea Pompilio. Modell aus der Herbst-WinterKollektion 2013

Vor allem Farben und Muster bestimmen Ihre Kollektionen…

Auch das habe ich von meinem Großvater, dem Narziss. In gewisser Weise hat er sich gekleidet, wie Männer es heute tun. Sie geben mehr Acht auf sich und denken darüber nach, welches Hemd sie tragen, welches Parfüm sie auftragen oder welche Socken sie zu welchen Schuhen anziehen. Früher waren diese Dinge für Männer nicht so wichtig – außer für meinen Großvater. Es war ein wirklicher Avantgardist. (lacht)

Nach Ihrem Modestudium am Mailänder Istituto Marangoni haben Sie für Prada, Calvin Klein und Yves Saint Laurent gearbeitet. Wie gehen Sie an eine neue Kollektion heran?

Es gibt einige Elemente, die immer wiederkehren und die mein Label bekannt gemacht haben. Neben Farben spielen Streifen, allen voran horizontale Streifen, und Karomuster eine wichtige Rolle. Ich arbeite viel mit meinem Körper, auch wenn ich nicht perfekt bin. Jedes Kleidungsstück probiere ich zuerst an mir aus. Wenn ich mich wohl fühle, mache ich weiter. Wenn ich das Kleidungsstück seltsam finde, sortiere ich es aus. Allerdings produzieren wir für die Modenschauen auch einige richtig auffällige Teile, weil der asiatische Markt danach sucht. Darum sind neunzig Prozent der Kollektion Andrea Pompilio, die anderen zehn Prozent sind Andrea Pompilio im Alter von 25 Jahren. (lacht)

Zu welchem Zeitpunkt kommen bei Ihnen die Stoffe ins Spiel?

Farben und Stoffe wähle ich meistens gleich am Anfang aus. Erst danach denke ich über die Schnitte nach. Ich arbeite jedoch nicht mit einer festgelegten Farbpalette. Über einen längeren Zeitraum sammle ich Farben und spiele mit ihnen herum. Wenn mir eine Kombination gefällt, dann suche ich einen Stoff in dieser Farbe, dabei wünsche ich mir manchmal sehr hochwertige Qualität für die exklusiven Modelle. Ich denke dabei nicht nur an die Kollektion, an der wir gerade arbeiten, ich hebe mir dieses Material auch für die nächste oder übernächsten Kollektion auf.

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Andrea Pompilio wurde 1973 im italienischen Pesaro an der Adriaküste geboren. 2010 gründete er sein gleichnamiges Label in Mailand.

Die Kollektionen fließen ineinander über?

Heute ist das auch bei großen Labels zur Normalität geworden. Bei der letzten Gucci-Schau zum Beispiel, war jeder Look anders als der vorhergehende. Trotzdem passt alles zueinander. Bei mir ist das auch so. Nur mache ich das schon seit fünf Jahren. Die Kollektionen sind Mixturen von schönen Einzelteilen, wobei Farbe eine entscheidende Rolle spielt. Am Liebsten verwende ich Farben, die auf den ersten Blick nicht zusammen passen, weil sie die meisten Menschen für eine schlechte Kombination halten würden. Doch genau an dieser Stelle wird es spannend. Es gibt keine Regeln mehr.

Liegt darin Ihr Erfolgsrezept: Im Brechen von Erwartungen?

Wir sind keine Marke, bei der sich alles auf den ersten Blick erschließt. Es kommt selten vor, dass jemand auf Anhieb sagt: „Ich liebe es“, oder „Ich hasse es“. Wahrscheinlich braucht man Zeit, um die Kollektion zu verstehen. Viele kommen dann ein zweites Mal wieder, um sich die Sachen erneut anzuschauen. Das gefällt mir. Ich möchte, dass die Leute kurz stehenbleiben und darüber nachdenken, was ich mache. Man muss den Dingen Aufmerksamkeit schenken.

Inwieweit unterscheidet sich die Arbeit für Ihre eigene Marke von der für Canali, diesem klassischen Mailänder Männerlabel, das 1934 gegründet wurde?

Der Ansatz ist für beide Labels ist sehr ähnlich. Ich denke nur an einen anderen Typ Mann. Bei meiner eigenen Kollektion habe ich einen Mann von 22 bis 55 Jahren vor Augen. Bei Canali denke ich an einen reiferen Mann. Reif nicht im Sinne von Alter, sondern im Sinne von Haltung. Das zeigt sich vor allem in den Materialien. Bei Canali verwenden wir für einen Mantel feinstes Kaschmir. Bei Andrea Pompilio wird ein Mantel aus einem raueren, haptischeren Stoff gefertigt und hat vielleicht einen starken Grünton.

Was würden Sie einem Mann raten, wie er sich kleiden soll?

Das Wichtigste ist, dass er sich mit dem wohl fühlt, was er trägt. Natürlich zählt beim ersten Eindruck, wie man angezogen ist. Doch wenn man sich in einem Kleidungsstück stark fühlt, macht es keinen Unterschied, ob man ein Sweatshirt oder einen Zweireiher trägt. Ich sehe viele Leute, die seltsam aussehen. Sie tragen etwas, weil es gerade Trend ist oder sie der Meinung sind, dass sie es tragen sollten. Ich mag zum Beispiel Mokassins mit weißen Tennissocken und gehe so auf die Straße. Würde ich meinen Vater damit sehen, müsste ich lachen. Es ist wichtig, niemals verkleidet auszusehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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