Am wollenen Faden

Er denkt in Mikrometern und weiß so viel über Wolle wie nur wenige andere Menschen. Pier Luigi Loro Piana leitet das Traditionsunternehmen Loro Piana, weltweit bekannt für exquisite Wolle und Kaschmirkleidung. Die internationale Suche nach den feinsten Fasern und besten Schafen führte ihn nach Peru oder Australien und Neuseeland, die Epizentren exquisiter Merino-Wolle.

Das italienische Familienunternehmen Loro Piana hält seit 2005 den Rekord für die feinste gesponnene Wollfaser, die es auf nur 11,8 Mikrometer Durchmesser bringt. Seit 18 Jahren versammelt Pigi, wie ihn Freunde nennen, ein Mal im Jahr die besten Züchter zum Loro Piana “Record Bale”, um den hochwertigsten und exklusivsten Wollballlen der Welt zu küren. Ein Branchen-Event der Spitzenklasse. Regelmäßig liefern sich Produzenten aus Australien und Neuseeland Kopf-an-Kopf-Rennen, zuletzt ging der Award an die Pyrenees Park Farm in Victoria in Australien. Der erste Award ging 1997 an Pier Luigis eigenen Mentor, was das Thema Wolle angeht: den australischen Woll-Guru Nodan Bernette.

Für Loro Piana ist die Suche nach der perfekten Wolle tief verwurzelte Passion, sein Label sei keine Modemarke im herkömmlichen Sinne es gehe um natürliche Rohmaterialien, die feinsten natürlichen Garne und die Funktionalität der Produkte. Mit Quality sprach Pier Luigi über kompromisslose Qualität, die Wolle der Vikunjas und über seine Jugend auf dem Dorf.

Herr Loro Piana, wie würden Sie Ihre Leidenschaft für Loro Piana beschreiben?

Wie wir in Italien sagen würden: Ich habe es mit der Milch aufgesogen. Loro Piana bedeutet für mich Leidenschaft und Liebe für das Beste. Es ist ein großer Teil meines Lebens. Ich habe diese Besessenheit von meinem Vater Franco geerbt. Als wir uns in den 70er Jahren entschieden, die besten Rohmaterialien der Welt zu finden, begannen wir die Welt zu bereisen. Dieses stetige Bestreben, Zugang zu den abgeschiedensten Flecken Erde zu finden, ist unser Erfolgsrezept.

Der italienische Ort im Piemont, in dem Sie produzieren, ist ziemlich klein. Was macht ihn so erfolgreich in der Wollindustrie?

Das ist richtig, unsere Produktion findet in einem kleinen Dorf im Valsesia statt, durch den der gleichnamige Fluss fließt. Da ist etwas besonderes mit diesem Tal. Mit sieben Textilunternehmen nahm es Einfluss auf die gesamte Textilindustrie Italiens. Und es scheint, als ob genau diese Faktoren unseren Erfolg ausmachen, vor allem, wenn man bedenkt, dass man Wasser braucht, um Wolle zu produzieren. Was aus der Natur kommt kehrt auch wieder zu ihr zurück – es ist ein Kreislauf und in diesem Falle auch noch Recycling. Das Tal bildet eine Sackgasse. Es endet an dem Berg Monte Rosa, der eine natürliche Grenze zur Schweiz bildet. Die Menschen lieben oder hassen es.

Sind Sie als kleiner Junge in Kaschmir oder Baumwolle aufgewachsen?

Wir sind mit Respekt vor hoher Qualität und definitiv privilegiert aufgewachsen. Aber ein wichtiger und guter Teil meiner Erziehung bestand darin, dass ich auf dem Land groß geworden bin, in einen Dorf, wo ich auch zur Schule ging. Man musste lernen mit jedem klarzukommen und mit jedem zu arbeiten,Freunde hat man nicht nach Geld unterschieden, denn es gab nur eine Schule. Ich glaube, es war ein Vorteil für uns in dieser Umgebung groß zu werden: grüne schöne Plätze, arbeitende Leute – ein sehr traditioneller Ort. Sicherheit, Abgeschlossenheit und der Fokus auf die Natur, haben mich gelehrt, die Natur zu lieben. Mein Vater brachte uns bewusst für zwei Jahre an die Amalfiküste, um auch das Meer lieben zu lernen.

Wie würden Sie eine typische Loro Piana Frau oder einen typischen Loro Piana Mann beschreiben?

Der typische Loro Piana Kunde, ob nun Mann oder Frau, ist äußerst anspruchsvoll. Beide wollen die beste Qualität – man könnte sie beinahe als “Qualität-Maniacs” beschreiben. Sie entscheiden sich für Loro Piana, weil sie wissen, dass kompromisslose Qualität zu unseren wichtigsten Eigenschaften zählt. Unsere Kunden folgen keinen Modetrends, sondern suchen zeitlose Eleganz. Eine Person, die Loro Piana trägt, stelle ich mir selbstbewusst vor mit relaxtem Gang und einer Haltung, die gelassenen Komfort ausdrückt. In meiner Vorstellung fühlt man sich so wohl in unseren Materialien, dass man das Gefühl hat, eine zweite Haut zu tragen.

Wie lautet Ihre persönliche Definition von Qualität und Luxus?

Diese zwei Attribute sind eng miteinander verknüpft. Luxus bedeutet für mich Zugang und Bereitstellung unbegrenzter Qualität. Luxusgüter können wertvoll sein, aber nicht alle Waren, die teuer sind, sind Luxusgüter. Das hat nichts mit Chichi oder Protz zu tun. In diesem Sinne bedeutet Luxus für mich, die höchsten Standards zu erreichen ohne Kompromisse in Qualität oder Ästhetik eingehen zu müssen.

War Ihnen schon immer klar, dass Sie in das Familiengeschäft einsteigen wollen?

Ich hatte schon immer eine unternehmerische Vision. Ich mag das! Ich habe mein erstes kleines Unternehmen gegründet, als ich 18 Jahre alt war. Ich habe Krawatten aus gewebter Seide hergestellt. Übrigens, ich habe eine hier! Sie ist circa 25 Jahre alt und ich liebe sie immer noch. Der Name der Firma war Pigi, mein Spitzname. Aber irgendwann hat mein Vater gesagt, das mache keinen Sinn, entweder Studium oder die Krawattenfirma. Mit 21,5 Jahren habe ich mich dann für das Studium entschieden.

Wie ist es heute, leben Sie in einer Welt aus Kaschmir? Von Kopf bis Fuss?

Ja. Alle anderen sagen, ich sei wie ein Lamm. Ich versuche, so gut ich kann, alle Produkte auszuprobieren bevor wir sie verkaufen. Ich habe sogar Kaschmir-Teppiche.

Wie nutzt Loro Piana die Natur, um immer bessere Qualität zu produzieren?

Unsere Mission ist es, die absolut beste Qualität zu liefern. Das fängt damit an, die besten Rohmaterialien der Welt zu finden. Das ist der erste und wichtigste Schritt der ganzen Wertschöpfungskette. Dadurch, dass wir die Natur respektieren und nicht die Quantität über die Qualität stellen, genießen wir das Privileg, Hand in Hand mit den Schafzüchtern zu arbeiten und direkt mit ihnen “Feldforschung” betreiben zu können. Als wir uns in den 70ern aufmachten, bedeutete dies Zugang zu den abgeschiedensten Fleckchen Erde mit den qualifiziertesten Hirten zu finden. Das ist unser Erfolgsfaktor. Ich selbst habe bereits vor vielen Jahren Shahtoosh, die Wolle der Tibet-Antilope kennengelernt. Bei der Tibet-Antilope handelt es sich um ein sehr wildes Tier. Vor hunderten von Jahren gab es eine Balance zwischen der Nachfrage nach dem Fleisch der Antilopa und der Shahtoosh-Wolle, aus der wertvolle Schals für den indischen Adel hergestellt wurden. Aufgrund der limitierten Menge an Tieren und damit an deren Wolle, galt es als das teuerste Material, das man in Indien finden konnte. Man fertigte feinstes Garn von circa 10 Mikrometern an und knüpfte in unglaublicher Handarbeits-Kunst wundervolle Schals daraus.

Ein Kaschmiri sagte mir einmal, man kann einen dicken Shahtoosh-Schal durch einen dünnen Fingerring ziehen und ein Ei darin kochen, aber Letzteres ist wohl eher symbolisch gemeint.

Das mit dem Ring ist wahr. Die feine Textur erlaubt es, ein sehr feines Garn zu produzieren und per Hand zu weben, deshalb funktioniert das. Das Problem mit Shatoosh ist folgendes: Solange eine Ausgewogenheit zwischen der Menge, die produziert wurde und der Menge an Schals die in Auftrag gegeben wurde herrschte, war alles in Ordnung. Aber dann fingen die Adeligen an, ihre Schals herumzuzeigen und plötzlich wollten reiche Frauen aus aller Welt Shahtoosh-Schals. Die Nachfrage stieg so schnell, dass sie zum Problem wurde, denn um an die Wolle zu kommen, musste man die Tiere erschießen. Sie sind sehr wild, nicht so wie Vikunjas. Vikunjas sind sanfte Tiere, aber eine Antilope muss man töten, um sie zu scheren.

Heutzutage darf man die Tibet-Antilope nicht mehr töten. Auch der Export ist komplett verboten.

Zum Glück! Es ist komplett verboten die Produkte der Tiere zu ex- oder zu importieren. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, sie in Gefangenschaft zu halten und sie zu scheren, bislang hat es niemand versucht. Gefangenschaft kann im Übrigen ganz unterschiedlich aussehen, wir haben diesen Versuch in Peru gemacht. Um ein Gehege zu schaffen, kauften wir 2.500 Hektar Land und hatten so ausreichend Platz für die Vikunjas, die allerfeinste Wolle geben. Dort sind die geschützt und alle zwei Jahre werden sie geschoren. Innerhalb von vier Jahren verdoppelte sich so die Zahl der Tiere. Ich würde so ein Projekt gerne mit den Antilopen starten. Aber das war in Peru und dort leide ich schon extrem unter der Höhe. Tibet und generell das Himalaya-Gebirge liegen noch einmal viel höher, was die Sache extrem erschwert, inzwischen bin ich auch zu alt. Aber auch wir kaufen Kaschmir aus Tibet, weil der braune Kaschmir aus Tibet der beste ist.

Shahtoosh gilt als dünnste Faser, nicht wahr?

Richtig. Shahtoosh kann man mit nur 9-11 Mikrometer Durchmesser produzieren. Ich glaube es wäre interessant, wenn jemand ein Zuchtprojekt starten würde, aber wenn man heute anfangen würde, wäre das Resultat eigentlich erst in 20 Jahren sichtbar.

Seit 2013 gehört Loro Piana zur LVMH Unternehmensgruppe. Was hat sich seitdem verändert?

Ich persönlich liebe, dass ich jetzt nicht mehr exakt das Gleiche mache wie vorher. Ich habe Loro Piana während des Übergangs geholfen, das zu bleiben was es ist. Das Unternehmen läuft sehr gut, die Jahre 2013-15 waren Rekordjahre für uns. Meine ganze Familie ist durch eine schwere Zeit gegangen, unvorhergesehene Dinge passierten. Es war eine Revolution für unser Familienleben, die auch das Unternehmen hätte beeinträchtigen können. Aber inzwischen zeigt sich, dass der Zusammenschluss mit LVMH positiv war. Man muss sich als Unternehmen immer wieder verändern, ein Unternehmen, das das nicht tut, ist meiner Meinung nach schon tot.

Derartige Umstrukturierungen sind nicht in zwei Monaten getan…

Ich sehe viel Potenzial bei Matthieu Brisset, dem derzeitigen CEO von Loro Piana. Er ist sehr leidenschaftlich, wenn es um Rohmaterialien geht. Er ist mit mir umhergereist und hat sich die Lieferungen angeschaut. Bei LVMH war man zunächst besorgt, da ich derjenige bin, der die Gebiete aus denen Loro Piana Rohmaterial bezieht, aufgebaut hat. Aber ich habe ein Team und ein Management, das alles fortführen kann.

Sie sagten, die letzten drei Jahre waren sehr erfolgreich und das Unternehmen war sehr erfolgreich. Warum denken Sie, ist es so erfolgreich?

Wir erarbeiten uns sehr loyale Kunden. Wir achten wirklich auf die Menschen und versuchen Produkte zu machen, die sie dauerhaft mögen. Kontinuität ist sehr wichtig, deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein.

Understatement bedeutet, das beste Produkt in einer latenten Art und Weise zu präsentieren. Geht es für Sie dabei um Gefühl oder Verstand?

Aus Kundensicht denke ich, ist es bestimmt eher eine Frage des Gefühls. Es ist eine Frage der eigenen Sensibilität, die Qualität des besten Produkts zu erkennen. Ein Produzent hingegen braucht eine große Expertise und eine profunde Kenntnis des eigenen Geschäfts, um sich Understatement anzueignen.

Sie lieben die Herausforderung und Sie lieben es zu gewinnen – was lieben Sie mehr: Tiere oder Erde, Berührung oder Gefühl, Technologie oder Natur oder die Herausforderung?

Es ist ein Mix aus allem, ähnlich einem guten Essen. Die perfekte Kombination aus allen Bestandteilen definiert das außergewöhnliche Ganze. Die besten Rohstoffe der Natur, modernste Herstellungsprozesse und natürlich die Herausforderung, stets alles besser und besser zu machen. Ich glaube, eines der Dinge, die am meisten liebe ist… Loro Piana!

Sind Sie überzeugt, dass man immer etwas besser kann? Gibt es kein Ende? In der Türkei besagt ein Sprichwort: Perfektion ist für Gott und nicht für die Menschen…

Bei Loro Piana geht es nicht um Perfektion, sondern vielmehr um ein ständiges Streben nach höchster Exzellenz. Und ja: Diese unnachgiebige Suche ist endlos.

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