Ein Apfel am Tag

Iris Apfel wurde zu einer späten Stilikone. Nicht etwa in ihren 20er oder 30er Jahren mit jugendlichem Aussehen, straffer Haut und seidigen Haaren erlangte sie Ansehen als trendsettendes Stilvorbild, sondern erst jetzt, mit weißgrauem Kurzhaarschnitt und nicht zu übersehender Stubenfliegebrille. Sie strahlt mit ihren 90 Lebensjahren genau das aus, wonach sich viele ein Leben lang sehnen: Freigeist, Individualität und ungetrübte Lebensfreude. Ihr Esprit lässt sie in jedem ihrer bunten, unkonventionellen Outfits fabelhaft aussehen. Jedes Schmuckstück (und sie trägt zahlreiche), jedes verrückte Kleidungsstück, das sie selbstbewusst trägt, ließe viele ihrer Altersgenossinnen schrullig, verkleidet oder leicht schräg aussehen. Der Gedanke, dass sich Iris Apfel nicht ihres Alters gemäß kleidet, falls eine derartige Kategorisierung überhaupt möglich ist, so straft diese Persönlichkeit alle Klischeereiter Lügen: Ihr Charisma ist zu einer Inspirationsquelle für viele Modeliebhaber geworden.

Im August 1921 wurde Iris als Tochter einer Modeboutiquebesitzerin und eines Glas- und Spiegelhändlers in Queens geboren und entdeckte schon sehr früh ihr großes Interesse an Mode und Design. Die Muse Manhattans kam mit der Modebranche erstmals im jugendlichen Alter von 20 Jahren in Berührung, als sie bei dem Magazin “Women´s Wear Daily “ arbeitete. Doch schnell merkte sie, dass eine Karriere im Fashion-Bereich für sie nicht in Frage kam und zog den Bereich des Interior Designs vor. Während des Zweiten Weltkriegs erhielt sie den Auftrag, einige luxuriöse Wohnungen auszustatten und benötigte aufgrund der Versorgungslage Erfindergeist, Mut und Kreativität. In dieser Zeit war es mehr als mühsam, bestimmte Stoffe und Möbelstücke zu finden. Deswegen begann sie, auf Flohmärkten nach außergewöhnlichen Stücken zu stöbern und entwickelte so ihr Gespür für eigenständige Kreationen und die Leidenschaft, wie eine Archäologin nach Designtrophäen zu graben. Diese Leidenschaft ist bei Iris Apfel bis heute präsent.

1948 heiratet sie den Mann ihres Lebens, Carl Apfel, der sie auch heute noch durch das Leben und auf Preisverleihungen und Events begleitet. Auch Carl, der sieben Jahre älter als seine Frau ist, erscheint immer tadellos in seinem perfekt sitzenden Smoking. Manche munkeln, er sei Iris schönstes Accessoire.  Vielleicht üben nicht nur ihre Ausstrahlung und ihr unvergleichlicher Stil eine solch große Faszination auf junge Menschen aus, sondern auch ihr 64 Jahre andauerndes Liebesglück mit ein und demselben Mann. Iris und Carl teilten nicht nur ihr Privatleben miteinander, sie gründeten bereits 1950 zusammen die Textilfirma “Old World Weavers”, die sich auf die Reproduktion ausgesuchter Stoffe aus dem 18. und 19. Jahrhundert spezialisierte. Gemeinsam leiteten sie die Firma bis zu ihrem Ruhestand 1992. In dieser Zeit jettete das Paar um die ganze Welt, immer auf der Suche nach etwas Besonderem. Auf marokkanischen Märkten, in venezianischen Kunsthandlungen, bei arabischen Händlern oder in mexikanischen Manufakturen entdeckten sie Unikate und Einzelstücke mit besonderer Geschichte. Iris Apfel sagte einmal, sie erstehe nur jene Dinge, die eine Emotion in ihr auslösen – Gegenstände ohne Seele sind für sie wertlos.

Die New Yorker Society Lady bereiste auf der Spurensuche nach ihren Designschätzen den ganzen Globus. Parallel leitete sie diverse Design-Restaurationsprojekte und arbeitete für das weiße Haus. Die neun Präsidenten Truman, Eisenhower, Nixon, Kennedy, Johnson, Carter, Reagan und Clinton kamen in den Genuss ihres auserlesenen Geschmacks. Doch nicht ihre interessanten Interior Design Projekte ließen sie zu einer Stilikone werden, Berühmtheit erlangte sie im Jahr 2005, als das größte Kunstmuseum der USA, das Metropolitan Museum of Art, ihr eine eigene Ausstellung widmete. Harold Koda, ein Freund der Äpfel und Direktor der Modeabteilung des MET, bat sie, einmal einen Blick in ihren großen Kleiderschrank werfen zu dürfen, um vielleicht das ein oder andere Ausstellungsstück für eine Accessoire-Ausstellung zu erhaschen. Was ihn dort erwartete, war mehr als er zu erhoffen gewagt hatte: Eine Phantasiewelot, die alle in sich zu vereinen schien, Qualität, Exklusivität, Farbenfreude und Inspiration. Die Idee war geboren, eine komplette Ausstellung zum Thema der Welt der Iris Apfel zu präsentieren. Dass die Ausstellung ein solcher Erfolg wurde, Menschen in Strömen ins MET pilgerten und die Kritiker ihre eigenwilligen, ein wenig verrückten Outfits lobten, kann sie bis heute nicht ganz glauben. Ihre Sammlung ist ein Sinnbild für  unbändige Freude an Mode und Kunst, ein Gegenpol zum ihr verhassten Modediktat. Vielleicht ist es genau das, was die Besucher dazu brachte, ihre Ausstellung so zahlreich zu besuchen.

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