17 Jul Couture en mouvement
Posted at 17:32h
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by nora
Ist die eigene Vergänglichkeit wohl eines der größten Tragödien des Menschen, so hat er in der Kunst und dem Kunsthandwerk doch Wege gefunden, sich selbst ein Jahrhunderte überdauerndes Denkmal zu setzen. Sie sind es, die Kunst und die Kultur, die uns alle überleben, die in unzähligen Ausdrucksformen von vielfältiger Schönheit unser Jetzt dokumentieren und auch in Hunderten von Jahren noch von ihm berichten werden. Umso mächtiger und eindrucksvoller, wenn sich gleich mehrere Kultursparten und Handwerkskünste zu imposanten Werken zusammenschließen, und aus der Idee eines Individuum, über das Zusammenspiel unterschiedlicher Künstler das Gesicht einer Gesellschaft entstehen lassen. Schon Schiller begriff gerade in diesen interdisziplinären Verbindungen besonderen Reiz und schließt “die Huldigung der Künste” mit großen Worten. “Denn aus der Kräfte schön vereintem Streben, erhebt sich, wirkend, erst das wahre Leben“, heißt es hier über die Symbiose von Architektur, Skulptur, Malerei, Poesie, Musik und Tanz. Seit Schiller ist in und mit unserer Kultur viel passiert und wir dürfen die Sammlung an kreativen Ausdrucksformen zum Beispiel um Fotografie und Design, um Performance und Film erweitern. Auch der Mode – doch eigentlich aus bloßem Bedürfnis und schlichtem Handwerk gewachsen – wird mittlerweile künstlerische Größe zu gesprochen, auch sie funktioniert heute als Teil des kreativen Spektakels.
Miuccia Prada zum Beispiel, entwarf jüngst die Kostüme für Baz Luhrmanns “The Great Gatsby” und zitierte hier die herausragendsten Details ihrer vergangenen Kollektionen. Oder Jean Paul Gaultier, der seine gewohnt sexualisierten Entwürfe 2009 zu Bühnenkostümen des “Schneewittchen” von Gustav Mahler für das Berliner Staatsballetts ummodelte. Er überraschte damit ebenso wie Viktor & Rolf, die ihrem eigenen avantgardistischen Anspruch folgend bei Robert Wilsons “Freischütz” im selben Jahr in Baden-Baden glänzende Folienarten und robuste Jute einsetzten. Auch Karl Lagerfeld oder Coco Chanel höchstpersönlich widmeten sich bereits der Kostümbildnerei aus modischer Hand, ebenso wie Christian Lacroix oder die Rodarte-Schwestern. Eine lange Tradition also, eine Liebelei zwischen grazilem Tanz und feinem Stoff, die jetzt von Riccardo Tisci fortgeführt wurde.
Riccardo Tisci fotografiert von Inez van Lamsweerde & Vinoodh Matadin
Seit 2005 entstehen die Linien von Givenchy unter der kreativen Leitung des Italieners. War der Anfang noch holprig und nicht nur von lobenden Kritiken begleitet, so ist Tisci mittlerweile angekommen im Olymp der großen Namen des Modedesign, haben wir uns nicht nur an seine oftmals düstere Vision für das französische Traditionshaus gewöhnt, sondern verfallen gerade bei seinen feinsinnigen Haute-Couture-Linien in träumerische Schwärmerei. Auch die Opéra National de Paris bediente sich unlängst seiner besonderen Begabung der höchsten Schneiderkunst. In Zusammenarbeit mit dem Kostümatelier des bedeutenden Opernhauses entwickelte Tisci das Kostümbild für “Boléro de Ravel” von den Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet und der serbischen Künstlerin Marina Abramovic, die neben dem Konzept zugleich für das Bühnenbild verantwortlich war. Eben wie seine Kollegen findet auch Riccardo Tisci in den Entwürfen für das Ballett immer wieder zu seiner Handschrift zurück, entnimmt Ästhetiken und Stimmung seiner Arbeiten das Givenchy vergangener Saisons.
So erinnern die Kostüme in – ganz Tisci – fließend langer Silhouette und extravagantem Detail an seine Kreationen der letzten Jahre, brechen ihre farblose Simplizität mit glanzvollem Beiwerk. Ebenso mühelos, wie bekanntlich der gute Balletttänzer seine körperliche Schwerstarbeit aus Choreografie und Muskelkraft aussehen lässt, empfinden auch die Boden langen Kostüme Tiscis die Kontur der Protagonisten nach, vermögen in großzügig schwingender Weite und leichtem Material der fantastischen Beweglichkeit der Ballerinas und Ballerinos Raum zu geben. Spendable Stickereien und Spitzenbesätze zeichnen Skelettformen nach und verdeutlichen so einmal mehr seine Vorliebe für eine Schönheit, die erst auf den zweiten Blick eine Leidenschaft für den morbiden Reiz erahnen lassen. Riccardo Tiscis fragile Ästhetik in Beziehung zum kraftvollen Tanz ließ sich bis zum 3. Juni im Palais Garnier der Opéra National de Paris erleben – ein Vorgeschmack auf noch viele überwältigende Linien aus der Feder des Meisters und weitere grandiose Verbindungen unterschiedlicher künstlerischer Disziplinen. “Denn aus der Kräfte schön vereintem Streben…”
Givency Haute Couture Herbst 2010/Frühling 2011/Frühling 2012
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