12 Okt Das Wunder von Bertl
Schuh-Bertl ist müde und das gehört zu seinem Job. Er hat nur vier Stunden geschlafen letzte Nacht, er war in Freden an der Leine. Dort ging sein Auto kaputt und es hat eine Weile gedauert, ehe er wieder nach München kam. In Freden hatte er ein Museum besucht, das einige seiner Arbeiten ausstellt, Schuhe mit mittlerweile historischem Wert. Sie zählen zu den einzigen Exemplaren weltweit, ihr Preis liegt momentan um die 4000 Euro. Schuh-Bertl ist Schuhmacher. Er hat einen Beruf, der so gut wie vom Aussterben bedroht ist. Der Münchner aber lebt ihn, solange es ihn noch gibt.
von Jakob Sellaoui / Fotos
Sein Laden heißt „Schuh-Bertl“, genau wie er selbst gerufen wird, und liegt in der Kohlstraße im Gärtnerplatzviertel. Das Geschäft existiert seit 60 Jahren, seit 1989 ist es in seinen Händen. Er hat mit 30 Paar Schuhen angefangen, heute sind es 3000. Sie hängen von der Decke oder stehen in Regalen und Vitrinen. Auf 170 Quadrat-metern gibt es über zwei Etagen einen Verkaufsraum, dazu einen Hof und eine Werkstatt. Der Ort, an dem Schuh-Bertl seine meiste Zeit verbringt. „Das ist ja das Problem – ich habe einfach zu viele Ideen“, sagt er. Er hat den Herrenschuh „Monaco di Bavaria“ erfunden, den Sportschuh „Das Wunder von Bern“ oder den zwiegenähten Damenhaferlschuh. 50 bis 100 Modelle vertreibt Schuh-Bertl insgesamt, je nach Saison und je nachdem, wie sie bei den Käufern ankommen. 15000 Kunden zählt er weltweit, und das verkündet er nicht ohne Stolz. Sogar aus Japan kommen sie extra zu ihm gereist. „Das, was man vor allen Dingen braucht um Erfolg zu haben,“ sagt er, „ist Leidenschaft, Leidenschaft, Leidenschaft. Ausdauer braucht man natürlich auch, und dass man gut ist in seinem Beruf, ist Voraussetzung.“
Schuh-Bertl, 49 Jahre alt, hatte ursprünglich eine Lehre als „Schweizer“ absolviert, Fachrichtung Käserei. Als er in den Bergen lebte, ließ er sich bei einem Schuhmacher ein Paar Bergschuhe anfertigen. Die waren zwar schweineteuer, aber auch saugut. Beim zweiten Paar bat er den Schuster, ob er bei der Fertigung dabei sein könne. Er beobachtete ihn, wie er die Haut ausschnitt, dehnte und zusammennähte, bis ein komplettes Produkt vor ihm lag. Schuh-Bertl war fasziniert: „Das, was der kann, will ich auch“, entschied er sich, und machte eine zweite Ausbildung – zum Schuhmacher.
Längst näht er nicht mehr alles eigenhändig, längst steht Schuh-Bertl nicht mehr nur im Laden. Dazu hat er auch gar keine Zeit. Er ist ständig unterwegs: Pressearbeit, Messen, Ausstellungseröffnungen. 40 Handwerker arbeiten an seiner Seite, in Deutschland, Italien, Spanien und Rumänien. „Ein guter Schuh braucht nicht teuer sein, wir machen bezahlbare Schuhe, fast für jedermann“, sagt er, und es ist so etwas wie seine Devise: Das Preis-Leistungsverhältnis muss stimmen. Qualität und Maschine sind für ihn dabei kein Widerspruch. Im Gegenteil. In Zeiten, in denen Schuhe billig am Fließband produziert werden, entwickelt er seine Schuhe immer noch selbst und so, dass sie jederzeit und überall repariert werden können. Etwa 400 Euro kostet bei ihm ein Paar, will jemand einen handgenähten Schuh, bekommt er ihn selbstverständlich auch, ab 1000 Euro aufwärts. Eine von Schuh-Bertl’s besonderen Fähigkeiten sind die „one piece“ Schuhe. Aus ganzen Kalbshaxen, die speziell geschlachtet, gewässert und gedehnt werden müssen, stellt er Stiefel her, deren Oberteile jeweils aus einem einzigen Stück Leder genäht sind. 100 Stück hat er davon produziert, sie sind unbezahlbar, und als Zeugen seiner Kunst in den Fachmuseen Deutschlands und Europas zu sehen.
Vor sechs Jahren gab ein Münchner Verlag das Buch „Mein Laden – mein Leben“ heraus. Darin wurden mehr als 20 Geschäfte und Manufakturen aus der bayerischen Hauptstadt porträtiert, darunter auch das Schuhgeschäft in der Kohlstraße. Heute, so glaubt Schuh-Bertl, ist er der einzige von ihnen, der noch existiert. Er schreibt Kinder- und Sachbücher über den bayerischen Haferlschuh, und er trifft sich mit Schuhmachern aus der ganzen Welt. Schuh-Bertl sagt, dass er 365 Tage im Jahr arbeitet – er hat sich der Zeit nicht nur angepasst, sondern er rennt ihr hinterher.
Im Moment aber hat er gerade eine kurze Pause. Er steht in München, vor seinem Laden, es scheint die Sonne und es ist warm. Er trägt eine seiner Lederhosen und dazu ein selbst entworfenes Hemd. Nur an den Füßen trägt er nichts. Barfuß, sagt er, gehe er am liebsten.
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